(Verdachts-)Diagnose Schizophrenie bzw. Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis
Was bedeutet das für mich als Patient oder Angehöriger? Diese Frage führte mich zur Lektüre des Buches "Schizophrenie - Die Krankheit verstehen, behandeln, bewältigen", 2. Auflage 2013 Psychiatrie Verlag von Professor Asmus Finzen. Der Entwurf aus dem Jahr 2010 zu diesem Buch kann hier heruntergeladen werden. Die Zusammenfassung hier soll Betroffenen, Angehörigen und Freunden Betroffener in Kürze in Form einer Handreichung die wichtigsten Informationen über die Krankheit zukommen lassen.
Was ist Schizophrenie?
Das Wort Schizophrenie ist ein von Eugen Bleuler 1911 eingeführter Name für bis dahin unter dem Sammelbegriff Dementia Praecox zusammengefasster wenig erforschter Krankheitszustände. Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis sind relativ häufig. Jeder hundertste wird einmal im Leben davon betroffen sein. Die Krankheit ist gut behandelbar. In 20% bis 30% der Fälle würde sie auch ohne Medikamente von selbst heilen. Weitere ca. 30% der Betroffenen können mit Medikamenten ein weitgehend normales Leben führen. Es kann zu mehreren Schüben kommen. In den übrigen Fällen verläuft es chronisch rezidivierend mit zunehmender Invalidisierung.
Die Krankheit beginnt zunächst kaum bemerkt bis zum Ausbruch des schizophrenen Syndroms, das dann auf irgendeinem Weg in die Behandlung beim Psychiater oder in der Klinik führt. Betroffen sind meist junge Erwachsene oder Menschen, die an der Grenze zu einem neuen Lebensabschnitt stehen. (Auszug, Stellenwechsel, Hochzeit, Umzug, Rente, Trennung ...) Aber der Reihe nach:
Der Beginn: Die Prodomalphase
Die Krankheit beginnt schleichend. Betroffene fühlen sich zunächst von der Umgebung überfordert. Sie erleben möglicherweise Geräusche, Farben oder Gerüche intensiver und können beispielsweise sehr gereizt reagieren, wenn ein Familienmitglied Musik hört. Manche Betroffenen erleben, dass über Sie hinter Ihrem Rücken gesprochen wird oder dass Verschwörungen gegen sie geplant sind. Dies kann im Einzelfall zunächst auch teilweise den Tatsachen entsprechen. Allerdings steigert sich dies im Lauf der Zeit derart, dass manche Betroffene beliebige Nachrichten der Außenwelt auf sich beziehen. Wenn Gedankenstürme entstehen oder Gedanken entzogen werden, versuchen die Betroffenen, sich dies beispielsweise dadurch zu erklären, dass das Fernsehen, Elektrogeräte, Fernsteuerungen, Gott oder der Teufel ihnen die Gedanken eingeben bzw. entziehen. Nachrichten im Fernsehen können als gezielter Bericht über bzw. Angriff auf die eigene Person erlebt werden. Dies kann sich über Monate oder Jahre aufbauen. Die Reaktion:
Der Rückzug
Jeder normale Mensch reagiert auf derartige Ereignisse so, dass er sich ihnen zu entziehen versucht. Genau dies geschieht in dieser Phase. Die Betroffenen ziehen sich zurück. Dies kann dazu führen, dass sie sich ins Bett legen oder stundenlang im abgedunkelten Zimmer aufhalten. Manche versuchen durch „entspannende Drogen“ wie Alkohol oder Cannabis der Lage Herr zu werden. Während der Rückzug zunächst meist nur zeitweise stattfindet, kommt es durch die Steigerung der Symptome zum Rückzug aus dem bisher eingeschlagenen Leben. Die Betroffenen versuchen eine Kurskorrektur, brechen die Schule ab, wechseln die Arbeitsstelle, wollen und können nicht mehr an ihren derzeitigen Platz im Leben zurück. Dies ist dann
Der wahrgenommene „Ausbruch“: Die aktive Phase und das zentrale schizophrene Syndrom
In dieser Phase der Krankheit hat der Kranke beispielsweise intensive Eingebungen von Gedanken, hört eventuell Stimmen, die seine Handlungen begleiten, oder leidet unter Gedankenentzug bzw. Gedankenübertragung. Diese Erscheinungen führen zu einer veränderten Wahrnehmung der physischen Umgebung oder sind das Resultat davon. In jedem Fall sind die Symptome für den Kranken real vorhanden und können daher nicht mit lapidaren Bemerkungen wie: „Das bildest Du Dir nur ein“ abgetan werden. Das Umfeld ist gut beraten, wenn die Beschwerden ernst genommen werden, weil sie ernst und real sind. Allerdings sollten sie nicht aufgenommen oder zurückgespiegelt werden. Ein Hinweis wie: „Ich kann Dich verstehen, kann Deine Gedanken / Wahrnehmungen aber nicht nachvollziehen, bzw. erlebe es anders“ ist die bessere Reaktion. Die Aktivitäten im Gehirn der Betroffenen lösen meist starke Angst aus. Falls Stimmen Befehle geben, kann dies zu mitunter auch kriminellen Handlungen führen, die das Leiden verschlimmern. Wenn die Erkrankung von der Umwelt wahrgenommen wird, führt dies in ärztliche Behandlung. Meist ist ein Klinikaufenthalt notwendig.
Was passiert in der Klinik?
In der Klinik wird mit Hilfe von Medikamenten versucht, die Symptome des schizophrenen Syndroms zurückzudrängen. Dies ist erforderlich, damit der Betroffene später wieder am Leben teilnehmen kann. Die heutzutage verwendeten Medikamente, sogenannte Neuroleptika, haben leider auch unerwünschte Nebenwirkungen. Die wichtigsten sind: Müdigkeit oder Bewegungseinschränkungen (Muskelsteifheit). Was zutrifft, hängt vom eingesetzten Medikament ab. In der Anfangs-phase werden gegen die Angst auch Medikamente vom Tranquilizertyp eingesetzt. Arzt und Patient sollten sich, wenn möglich, darüber verständigen, was eher in Kauf genommen werden kann, da die Medikamente sehr lange - über Jahre - eingenommen werden müssen. Lei-der wirkt nicht jedes Medikament bei jedem Menschen gleich gut, so dass es notwendig sein, kann mehrere auszuprobieren. Dies kann sich über einige Wochen bis Monaten hinziehen. Der Erfolg der Behandlung ist um so besser, je kürzer die Prodomalphase angedauert hat. Im Idealfall kann der Betroffene die Klinik ohne die sogenannten „Positivsymptome“ verlassen. Die Positivsymptome sind nicht gut. Der Name bedeutet lediglich, dass ein sicherer (positiver) Hinweis auf eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis vorliegt. Wenn der Betroffene die Klinik verlässt, beginnt
Die Konsolidierung
In dieser Phase können noch Restsymptome vorhanden sein, die entweder in Träumen auftreten oder aber den Betroffenen nicht mehr aufregen und im Alltag nicht stören. Manche Betroffenen trauern den Stimmen nach oder fallen in ein Loch. Außerdem werden sie wieder mit der rauen Welt konfrontiert, was ebenfalls schmerzlich sein kann. Diese Phase kann auch noch längere Zeit von einer „Erschöpfung“ des Betroffenen gekennzeichnet sein, die sich auch als Antriebslosigkeit äußert. Der Grund für die Erschöpfung ist die lang anhaltende Hyperaktivität des Gehirns, von der es sich jetzt erholen muss. Auch eine Beeinträchtigung des Willens kann zunächst bleiben. Im Lauf der Zeit (12 bis 18 Monate) gehen diese sogenannten „Negativsymptome“ zurück. Auch die Rückzugstendenzen gehören zur Negativsymptomatik. In dieser Phase sollte auch wohldosiert versucht werden, an alte soziale Kontakte anzuknüpfen, bzw. neue aufzubauen. Der Betroffene sollte mit Hilfe sozialpsychiatrischer Maßnahmen einen Lebenskreis aufbau-en, der seiner Leistungsfähigkeit entspricht. Dies kann bedeuten, dass das vorige Leben weitergeht, aber es kann auch auf neue Wege führen.
Woher kommt die Krankheit?
Die genauen Ursachen der Schizophrenie sind nach wie vor nicht bekannt. Es gibt eine Reihe von leider bis heute unspezifischen körperlichen und genetischen Veränderungen, an denen geforscht wird. Auch Stress und Spannungen im Umfeld der betroffenen Person spielen ei-ne Rolle. Es ist auch bekannt, dass die Krankheit von Betroffenen in ca. 10% der Fälle weitervererbt wird. Familiäre Häufungen sind daher zu beobachten. Der für mich überzeugendste Ansatz ist der, dass die betroffenen Personen empfindlicher auf ihre Umwelt reagieren und daher leichter verletzlich sind. Ein „Schuldiger“ oder eine „Schuldige“ für die Krankheit kann in der Regel nicht ausfindig gemacht werden. Die Aus-sage, die Mutter sei in der Regel schuld, kann sicher als unhaltbar gelten. Auch der kulturelle oder religiöse Hintergrund spielt keine Rolle, da es in allen Gesellschaften gleich häufig auftritt. Neben der psychischen gibt es auf jeden Fall eine körperliche Komponente, da die Medikamente regelnd in das Dopamin-System des Gehirns eingreifen.
Was ist nicht betroffen?
Auch wenn jemand an einer schizophrenen Psychose erkrankt, bleiben alle seine bis dahin erworbenen guten Fähigkeiten erhalten. Ihm fehlen in der akuten Phase jedoch die Möglichkeiten diese einzusetzen. (Oder sie werden zweckentfremdet eingesetzt) Dies sollten wir nie vergessen.
Worauf müssen wir uns als betroffene Patienten und Angehörige und Freunde einstellen?
- auf einen langen Kampf gegen die Krankheit. Die obigen Ausführungen zeigen, dass die Krankheit nicht so schnell vorbeigeht, wie ein Schnupfen.
- auf Fortschritte und Rückschläge
- auf einen verständnisvollen Umgang miteinander, auch mit den Profis.
- darauf, dass die Krankheit nicht nur den Kranken, sondern auch Therapeuten, Angehörige und Freunde an ihre Grenzen bringt.
- Schuldzuweisungen zu vermeiden.
- darauf, dass sich der betroffene Patient, aber auch wir als Angehörige und Freunde uns verändern, weil wir uns auf die Krankheit einstellen. Bei genauem Hinsehen ist dies teilweise schon vor der Klinikaufnahme des Betroffenen passiert.
- als Eltern darauf, dass das Kind, das vielleicht schon aus dem Haus war, wieder zurückkommt.
- darauf, dass das Leben des Betroffenen eine neue Wendung nimmt und er nicht „wieder ganz der Alte“ wird.
- darauf, dass wir die Krankheit nicht verschweigen sollten
- darauf, dass Außenstehende „befremdet“ reagieren und den Kontakt mit uns meiden.
- darauf, dass wir uns Hilfe holen müssen, bevor wir selbst am Ende sind.
- darauf, dass wir Regeln einhalten und Grenzen ziehen, damit wir uns selbst vor Überbeanspruchung schützen.
- darauf, dass wir ein tragfähiges Team aus Angehörigen, Freunden, niedergelassenen Ärzten und Therapeuten und der Klinik bilden müssen, das der Langzeitbeanspruchung standhält und von Vertrauen getragen ist.
darauf, dass wir in Büchern und Seminaren einiges über die Krankheit lernen und eine Selbsthilfegruppe suchen müssen.
© Christian-Michael Kleinau 5/2015
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