Christus ist das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. (Kolosser 1,15; Monatsspruch April)
Während ich diese Zeilen schreibe, schaue ich auf den auferstandenen Christus des Isenheimer Altars, der seit gut einer Woche über meinem Schreibtisch hängt. Ich habe ihn im Zusammenhang mit der Predigt vom Palmsonntag über den Hebräerbrief aufgehängt, in der es um die Wolke der Zeugen geht, die uns ermutigen und anspornen, auf dem Weg des Glaubens auch dann weiterzulaufen, wenn es schwierig wird.
Ich habe das Bild aber auch aufgehängt, weil der darauf Abgebildete mich daran erinnert, was er auf sich genommen und überwunden hat. An der Stelle im Hebräerbrief geht es ja ums Hinschauen zu Jesus. Ich habe das einfach mal wörtlich genommen. Ich kann zu ihm hinschauen, damit ich von anderen Dingen wegschaue. Ich kann zu ihm schauen, um meine Fragen an ihn zu richten. Ich kann zu ihm aufschauen als dem Herrn. Auf dem Bild ist er auf dem Weg, die Erde zu verlassen. Er erhebt sich gerade aus dem Grab. Die schlafenden Wachen liegen am Boden. Die Arme sind wie zum Segnen ausgebreitet, die Nägelmale deutlich zu erkennen.
Der Monatsspruch fügt dem Auferstandenen noch eine weitere zeitliche Dimension hinzu. Er ist der, der vor allem anderen war. Ja, er ist das Bild des unsichtbaren Gottes. Wenn wir auf ihn schauen, sowohl im Leiden als auch in der Auferstehung, dann sehen wir Gott selbst. Das Bild, das man sich laut dem 2. Gebot nicht von Gott machen soll, ist nun verfügbar. Jesus ist das Bild Gottes. Ein Bild, das wir durchaus ertragen können. Und doch auch gleichzeitig in einer ganz anderen Rolle und Dimension. Der Wochenspruch macht deutlich, dass er nicht nur ein vorbildlicher Mensch, Sozialreformer, Rabbi, Heiler oder anderweitig einfach guter Mensch war. Dass er als Mensch erschien, verleitet leicht dazu, das zu glauben. Und es ist ja auch nicht falsch. Aber es greift zu kurz. Wer auf Jesus schaut, hat den vor sich, der alles in der Hand hat, der bei der Schöpfung dabei war, der die zerstörerischen Gewalten im Zaum hält. Wenn ein normaler Mensch einer Kraft aus-gesetzt ist, die in der Lage ist, das Universum zu erschaffen, dann muss dies unweigerlich zum Tod führen. Denn das hält ein menschliches - oder sonstiges Wesen - nicht aus. Und deswegen war es den Menschen zur Zeit des alten Bundes auch nicht möglich, Gott zu sehen. Die Begegnung mit Gott war dem Hohepriester und Mose möglich. Und dies auch nur indirekt. Nachdem Mose Gott hinterhergeschaut hatte, war er so hell, dass es niemand in seiner Nähe aushielt. Und das war sicher nur ein minimaler Abglanz der Herrlichkeit Gottes.
In der Nähe Jesu in menschlicher Gestalt konnte man es aushalten. Die Jünger zogen mit ihm durch die Gegend. Jesus verstand es zu feiern und war gern gesehener Gast. Er war empathisch und litt mit den Kranken. Seine Macht setzte er nur dosiert ein, zum Wohl seiner Umgebung, in-dem er Kranke heilte, Tote auferweckte und böse Geister vertrieb. Eine Dimension von Jesus, die in der Theologie oft ausgeblendet wird. Die manche nicht wahrhaben wollen, die aber so wenig verhandelbar ist wie sein Wirken auf der Erde. Wenn Jesus nicht gezeigt hätte, dass er Macht über Sünde, Krankheit und den Tod hat, dann wäre der Glaube an ihn sinnlos.
Und so betrachte ich dieses Bild des Auferstandenen. Mir wird klar, dass es mehr ist als ein Bild. Es zieht mich in seine Gegenwart. Er scheint schon am Gehen zu sein. Aber noch ist er da, in Rufweite sozusagen, und es sieht aus, als würde er auf diesen Ruf warten. Die Nacht ist noch im Hintergrund, aber Jesus ist im Licht. Einem Licht, das von ihm ausgeht. Die Herrlichkeit Gottes scheint in die Nacht vor dem Grab. Sie scheint in meine und Ihre Nacht, wenn wir es schaffen, auf ihn zu schauen. Er ist nach wie vor nahe. Empathisch, mitleidend und bei unseren Festen. Er hat die Kraft, die Gewalten, die uns im Griff haben, zu beherrschen und das Böse zu besiegen. Er kann scheinbar Unveränderliches verändern und Bewegung in festgefahrene Situationen bringen. Und er kann Neues erschaffen, denn das hat er vom Anfang der Welt an gemacht. Durch sein Leben in irdischen Verhältnissen hat er gezeigt, dass er unser Vertrauen verdient.
Ein Bild wie das vom Isenheimer Altar kann uns helfen, uns der Dimension klarzuwerden. Zwingend notwendig ist es aber nicht. Notwendig ist nur das, dass wir ihm vertrauen und ihn in unser Leben einbeziehen. Dass wir uns ein Beispiel an ihm nehmen und ihm gleichzeitig zutrauen dort zu helfen, wo seine Schöpfermacht gefragt ist.
Ihr Christian-Michael Kleinau
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